Wir bauen gerade ein Display zum Thema "Reisen im Mittelalter" auf.
Hier unsere Erkenntnisse, die auch als Begleitheft zum Schautisch bei uns erhältlich sein werden.

Grundsätzliches:

Seit jeher reisen Menschen aus unterschiedlichen Gründen. Hier möchte ich die 3 Hauptgründe beleuchten, aus denen im Mittelalter gereist wurde.

Diese sind: Militärisches Reisen, berufliches Reisen (Handelsreisen) und Pilgerreisen

 

Geographie:

Das Europa des Mittelalters barg zwar einige geographische Gefah­ren und Hindernisse, aber insgesamt handelte es sich doch um Gege­benheiten, die das Reisen mehr begünstigten als erschwerten.

Grundsätzlich war es so, dass durch Flüsse und Meere eine Reise per Schiff bis in die Neuzeit (bis zur Erfindung der Eisenbahnen) oft schneller und bequemer war als die Reise an Land.

Reiste man über Land, so sah man sich riesigen Wäldern, Gebirgen, Mooren und je nach Jahreszeit, schlechten Straßenbedingungen ge­genüber. Falls es denn überhaupt so etwas wie eine Straße dort gab.
Das Reisen zu Wasser bot sich alleine deshalb an, weil es im Ver­gleich zu anderen Kontinenten in Europa eine geringere durchschnitt­liche Entfernung der Küsten (340 km) gab und mehr als ein Drittel der europäischen Landmasse auf Halbinseln und Inseln entfiel.

Klima:

Grundsätzlich wurde das Reisen in Europa dadurch erleichtert, dass die Natur und das Klima weniger feindlich war als in anderen Gegenden. Unter anderem verlief die Treibeisgrenze wegen des Golf­stroms so, dass sogar Schiffsreisen zwischen Norwegen und Island ganzjährig möglich waren.
Des Weiteren gab es in Mitteleuropa deutlich seltener Erdbeben, Flutwellen und Wirbelstürme als in anderen Regionen und Schäden an Verkehrswegen durch Überschwemmungen waren eher selten.

Sozialstruktur:

Bei der Sozialstruktur des Mittelalters ist es erforderlich, sich von unserem heutigen Verständnis von Individualität, Eigenständigkeit und Freiheit zu lösen. Dies soll keinesfalls bedeuten, dass es diese Werte im Mittelalter nicht gab, sondern lediglich, dass die Bedeutung eine gänzlich andere war. Im Zusammenleben, sei es in dörflichen Bereich oder im städtischen Umfeld war man auf eine unterstützende soziale Struktur eine Gemeinschaft angewiesen. Außerhalb der Gemeinschaft fehlte diese Unterstützung. Was erwartete daher einen Reisenden der Zeit in der Fremde?

Zunächst wurden Fremde abseits der Gasthöfe mit Argwohn beäugt. Dem entgegen stand jedoch eins der zentralen Elemente im Umgang mit Reisenden, die Gastfreundschaft.
Diese hatte, wie in den meisten vormodernen Kulturen, auch im mittelalterlichen Europa einen hohen Stellenwert. Fremde aufzunehmen geboten mehrere Stellen im Neuen Testament wie auch im Koran und der Tora. Damit diese Gebote jedoch nicht missbraucht würden, wurde die Gastfreundschaft bald eingeschränkt: Wer länger als 3 Tage bleiben wollte, musste dafür arbeiten.

Reisegeschwindigkeit:

Eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit anzugeben ist schwierig, da es eine sehr große Bandbreite gab. Als Extreme soll hier genannt sein: Einerseits legte der Kurierdienst im Mongolenreich (das sich zu dieser Zeit bis ins heutige Ungarn erstreckte) bis zu 375 km am Tag zurück. Andererseits benötigte ein pilgernder Krüppel dem „Elisabeth-Mirakel“ (1232) zufolge vier Wochen für 35 km, da er sich wegen amputierter Beine nur auf „Schemelchen“ schiebend vorwärts bewegen konnte.

Die meisten Menschen reisten zu Fuß und so kann von einem Tagesmarsch von 30-40 km ausgegangen werden.
Deutlich schneller war man natürlich zu Pferd unterwegs. So konnte man zwischen 50 und 60 Kilometer am Tag zurücklegen.

Zu bedenken ist bei der Reisegeschwindigkeit auch noch, dass bei­spielsweise eine Entfernung von 1200 Kilometer Luftlinie etwa einer Wegstrecke von etwa 1500 Wegkilometern entsprochen haben dürf­ten.

Das Gasthaus

Es gab im mittelalterlichen Europa gewaltige Unterschiede bei Gasthäusern.
Das professionelle Herbergswesen entwickelte sich erst im Hochmittelalter so weit, dass es eine erwähnenswerte Anzahl von Gasthäusern gab: In der Spitze gab es um 1370 etwa 60 Herbergen in Avignon.

Ein Indiz dafür, dass das Herbergswesen erst im Hochmittelalter voll entwickelt war, ist, dass Karl der Große (747 – 814 n. Chr.) in seinen Anweisungen die Ausübung der Gastfreundschaft betonte.
Diese muss also noch notwendig gewesen sein, es scheint noch kein voll entwickeltes professionelles Herbergswesen gegeben zu haben.
Dies änderte sich im Prinzip dann, als der Gelegenheitswirt von der Tätigkeit leben konnte und diese ausschließlich verrichtete.

Der Mindeststandard eines Gasthauses war zu Anfang schon erreicht, wenn ein Gästebett vorhanden war. Wollte ein Gast etwas in einem dieser „1-Sterne-Gasthäusern“ essen, so musste er sich seine Lebensmittel selbst mitbringen und selbst kochen.

Erst Ende des 15. Jahrhunderts wurde eine Verordnung erlassen, welche eine Mindestausstattung für Gasthäuser (in der Küche bestehend aus Kamin, Kochtöpfen, Bratpfannen und -spießen, Licht, Tischen mit Decken, Bänken, Suppenschüsseln, Tellern, Salzfässern, Tassen, Krü­gen, Kesseln und Holzeimern) vorsah.
Es ist aber davon auszugehen, dass diese Vorschrift von Gelegenheitsgastwirten nicht immer erfüllt wurden und nur professionelle Herbergen solch eine Ausstattung aufwiesen.

Trotz Unterschiede bei der Qualität, dürfte die Übernachtung in Gasthäusern, besonders in der gehobeneren Gesellschaft, eher die Regel, denn die Ausnahme gewesen sein.

Pilgerreisen:

Die Gesellschaft im Mittelalter hatte ein gespaltenes Verhältnis zum Reisen.
Zum Einen wurde vor den Gefahren auf der Reise gewarnt.
Andererseits wurde unglaublich viel gereist.

Besonders Wallfahrten werden heute wie kaum etwas anderes mit mittelalterlichem Reisen in Verbindung gebracht.

Für die Kirche waren Reisen, zu unterschiedlichen Zwecken, sogar in der Bibel verankert. So beruft sich zum Beispiel Wilhelm von Rubuk (ein Franziskaner des 13. Jahrhunderts) in seinem Bericht zur Entdeckungsreise in das mongolische Reich auf die Bibel. „Er bereist das Land fremder Völker, erfährt Gutes und Böses unter den Menschen“ (Jes Sir 39,4)

Der heilige Benedikt von Nursia (Begründer des Benediktinerordens) wiederum ordnet an, dass Mönche mindestens zu zweit reisen sollen. Grund hierfür dürften neben den „weltlichen Versuchungen“ auch die Gefahren auf dem Weg gewesen sein.

Kommen wir aber zu Pilgerreisen im europäischen Mittelalter.
Die Bedeutung von Wallfahrten im Mittelalter kann kaum überschätzt werden.
Reisen ins heilige Land, nach Rom, nach Santiago de Compostela und zu regionalen Orten wie Köln und Aachen sorgten für ein internationales Wir-Gefühl, aber auch für kostbare Erfahrungen, bis hin zur Vergebung der Sünden und Wundererwartungen des Einzelnen.

Aber wie genau kann man sich die Ausstattung eines Pilgers vorstellen?

Pilger wurden oft folgendermaßen dargestellt: Bekleidet mit einem langen Mantel (der auch als Decke dienen konnte) einem breitkrempigen Hut, mit soliden Schuhen, einer Tasche (in der Ausweis- und andere Dokumente, Geld und Nahrungsmittel verstaut wurden) und mit einem Stab, um sich vor Tieren schützen zu können oder auf den er sich im Gebirge und beim Durchwaten von Flüssen stützen konnte.

Außerdem dürfte ein gut ausgerüsteter Pilger noch ein Tischmesser, einen Becher, Steine zum Feuerschlagen, ein Netz zum Fangen von Fischen und vor allem ein Empfehlungsschreiben von Verwandten und Bekannten bei sich gehabt haben.
Solch ein Empfehlungsschreiben konnte viel Gepäck und Geld ersetzen, konnte man damit doch kostenloses Essen, Unterkunft und vieles mehr bekommen.

Finanziell war eine Pilgerfahrt auch ein gewisses Unterfangen. Eine Quelle spricht Anfang des 14. Jahrhunderts in Lübeck von Kosten zwischen 10 Mark (für 2 arme Pilger) und 40 Mark. Um sich die Kosten vorstellen zu können, sei gesagt, dass zu der Zeit ein Ochse 2 ½ Mark und ein Schaf 4 Schilling kostete.

Ein armer Pilger musste also mit 5 Mark den Gegenwert von 2 Ochsen, bzw. 2-3 durchschnittliche Monatsgehälter aufbringen.
Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass gerade regionale Wallfahrten noch häufiger gemacht wurden als überregionale Pilgerreisen nach Rom, Santiago de Compostela oder sogar nach Jerusalem.

Handelsreisen:

Seit dem 8. Jahrhundert sind immer größer werdende Handelsbeziehungen (zuerst der Friesen) bekannt.

Immer wieder kam es jedoch zu Verunglimpfungen der Händler.Petrus Damiani sprach 1057 n. Chr. in einer Predigt beispielsweise folgende Worte: „Du fliehst aus deiner Heimat, kennst nicht deine Kinder, verlässt deine Frau; alles, was wirklich unentbehrlich ist, hast du vergessen. Du begehrst, um hinzuzuerwerben, erwirbst, um wieder zu verlieren, verlierst, um dich zu grämen.“

Doch auch solche Äußerungen änderten nichts daran, dass gerade Fernhändler gern gesehene Gäste der weltlichen und kirchlichen Oberschicht waren.
Nicht nur wurden sie als Lieferanten begehrter Luxusgüter, sondern besonders auch wegen der Informationen, die sie aus fernen Ländern brachten, hoch geschätzt.

Aus diesem Grund wurden Kaufleute von Herrschern z.B. durch die Befreiung von Geleitgeldern, aber auch durch besonderen Schutz, privilegiert.
So garantierte beispielsweise der Fürst von Nowgorod Ende des 12. Jahrhunderts deutschen und gotländischen Händlern im nowgoroder Herrschaftsgebiet Friede und Rechtsschutz.

Da Schutzbriefe und Rechtsversprechen aber nur so weit reichten, wie die Macht desjenigen, der sie ausgestellt hatte, waren die Kaufleute in vielen Gegenden trotzdem auf Selbsthilfe angewiesen.

Es gab neben den Kaufleuten natürlich noch andere Berufsgruppen, welche regelmäßig außerhalb ihrer Heimatorte unterwegs waren.

Abgesehen von Bauern, die ihre Waren auf den Markt brachten, war eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Menschen auf der Suche nach Arbeit auf den Straßen unterwegs.
Durch die sich verbessernden Umweltbedingungen im Hochmittelalter, wachsende Städte und eine erstarkende Mittelschicht kam es immer häufiger dazu, dass sich Menschen auf den Weg machten, um andernorts eine bessere Arbeit zu finden.

Auch Studenten und Handwerksgesellen sollen hier nicht unerwähnt bleiben.
Die einen reisten an ferne Universitäten um zu lernen, die anderen in verschiedene Städte, um bei Bauvorhaben ihre Arbeitskraft und ihr Können anzubieten.

Es war also einiges los auf den Straßen des Mittelalters.
Wie sich dieses Gewirr aus Mensch und Tier ordnen ließ wollen wir uns in einem späteren Absatz über die mittelalterliche „Straßenverkehrsordnung“ anschauen.

Reisekönigtum:

Um die Bedeutung des Reiseverkehrs im Mittelalter erfassen zu können ist es unumgänglich, sich mit dem Reisekönigtum als wichtiger Aspekt des feudalistischen Gesellschaftssystems im Mittelalter zu beschäftigen.

Der Grund für das s.g. Reisekönigtum war, dass es keine zentralisierte Macht gab.
Stattdessen gab es viele kleine Herrschaftsgebiete, die zwar offiziell alle einem König, bzw. Kaiser unterstanden, aber gleichzeitig um größtmögliche Souveränität kämpften.

War es ihm nicht möglich, selbst Präsenz zu zeigen, halfen dem König sogenannte „Königsboten“ dabei seine Macht auszuüben. Diese Königsboten, Personen aus dem Kreis der kirchlichen und weltlichen Größen der Zeit, waren als Stellvertreter des Königs damit beauftragt das Reich zu bereisen und zu kontrollieren. Sie sollten Untersuchungen durchführen, Missstände beheben und dem König Bericht erstatten, wenn es nicht gelang die Probleme direkt zu lösen.

Rechts vor Links“
oder
„Die mittelalterliche Straßenverkehrsordnung“:



Damit es bei dem Gewirr aus Handelsreisenden, Pilgern, Herrschern, Vasallen auf dem Weg zum Heer und allen anderen Rei­senden wenigstens etwas geordnet zuging, wurde im 13. Jahrhundert im Sachsenspiegel eine erste Straßenverkehrsordnung verfasst.

Im Vergleich zu unserer heutigen StVO kam diese damals allerdings mit wenigen Zeilen aus.
Diese lauteten:

Die Straße des Königs soll so breit sein, dass ein Wagen dem anderen Platz machen kann. Der leere Wagen soll dem beladenen, der weniger beladene dem schwer beladenen ausweichen. Der Berittene soll einem Fuhrwagen und der Fußgänger einem Berittenen weichen. Befinden sie sich allerdings auf einem schmalen Weg oder auf einer Brücke oder verfolgt man einen Berittenen oder einen Fußgänger, dann soll das Fuhrwerk anhalten, damit diese vorbeikommen können. Der Fuhrwagen, der zuerst auf die Brücke rollt, der soll sie auch zuerst überqueren – er sei leer oder beladen.“

Im wesentlichen handelt es sich hierbei um eine Zusammenfassung ungeschriebener geltender Regeln.

Reiseproviant:

Dadurch, dass man in erreichbarer Entfernung Gasthäuser und andere Übernachtungsmöglichkeiten hatte, kam es nur selten vor, dass ein Reisender im Mittelalter im freien Gelände übernachten musste. Eher selten (s. Kapitel über Gasthäuser) hatte man jedoch den Luxus in einer Herberge einen gedeckten Tisch vorzufinden.
Um zusätzlich dazu auch tagsüber seinen Hunger und Durst stillen zu können, musste sich ein Reisender mit ausreichend Proviant versorgen.

Einzelreisende nutzten dafür ausgehöhlte Kürbisse (bei denen uns allerdings als früheste Quelle ein Bild von 1504 bekannt ist), Tonkrüge oder Tierblasen.
In Gruppen wurden besonders in südlichen Regionen öfter vorkommende Durststrecken mit Lederschläuchen überbrückt.

Um den kleinen oder großen Hunger zu stillen, waren besonders Brot und Käse gefragt. Damit konnte relativ leicht der Bedarf an Kohlenhydraten, tierischem Eiweiß, sowie Fett gedeckt werden.

Käse hält sich von Natur aus relativ gut und bei Brot wurde unter­wegs auf örtliche Bäckereinen zurückgegriffen.
Zusätzlich zu frischem Brot war auch das, später als Zwieback bekannt gewordene, zweifach gebackene (und so haltbarer gemachte) Brot schon früh bekannt.
Die Griechen nannten es dipyritai, die Römer sprachen von panis frixus.

Neben diesen „Grundnahrungsmitteln“ auf der Reise gab es natürlich noch viele Varianten. Je nach Geschmack, Region und Jahreszeit wird in den Quellen beispielsweise von Nüssen, getrocknetem Obst und Fleisch, bzw. Wurst gesprochen.

Literaturtipps:

Norbert Ohler, Reisen im Mittelalter, Artemis Verlag,
ISBN 3-7608-1913-3

Klaus Herbers, u.a., Pilgerwege des Mittelalters, Theiss Verlag,
ISBN 3-8062-1982-6

Bayerisches Nationalmuseum München, Wallfahrt kennt keine Gren­zen, Verlag Schnell & Steiner München,
ISBN 3-7954-0362-6

Textiles and Clothing, c.1150-1450: Finds from Medieval Excavati­ons in London (Medieval Finds from Excavations in London, Band 4), von Elisabeth Crowfoot(Autor), Frances Pritchard (Autor), Kay Staniland (Autor) , Verlag Boydell & Brewer Ltd

 

Den kompletten Text findet Ihr unter https://tremonia1300.jimdofree.com/